Die Hölle des Nordens findet am Sonntag, den 17. April statt. Die Schwierigkeit der Strecke, die Namen der Top Favoriten und unsere Prognose erfahrt ihr in diesem Beitrag.
Als eines der ältesten Rennen im Kalender gilt Paris-Roubaix zu Recht als einer der Höhepunkte der Radsport-Saison. Das Kopfsteinpflaster Rennen durch Nordfrankreich, das zu den fünf Monumenten des Radsports gehört, wurde erstmals 1896 veranstaltet und findet in diesem Jahr zum 119. Mal statt. Die Hölle des Nordens (l’enfer du Nord auf Französisch) wird am Sonntag, dem 17. April 2022 ausgetragen, zwei Wochen nach der Flandern-Rundfahrt (statt nur eine), um Platz für die französischen Präsidentschaftswahlen zu lassen.
Viele Fahrer betrachten sowohl Paris-Roubaix als auch die Flandern-Rundfahrt als die härtesten Eintagesrennen im Kalender und somit Paris-Roubaix im Laufe der Jahre eine Reihe an Spitznamen erhalten. Die Hölle des Nordens, der Sonntag in der Hölle, die Königin, der Klassiker, das Osterrennen, wie auch immer man es nennt, ist vollgepackt mit Dramatik und bringt immer einen würdigen Sieger hervor – selbst, wenn es sich um einen Außenseiter handelt.
Die diesjährige Strecke
Die Strecke selbst hat sich über die Jahre kaum verändert. Im Vergleich zum letzten Herbst ist die Gesamtdistanz um 200 Meter auf 257,5 Kilometer verringert worden. Für die Fahrer gibt es 200 Meter weniger Kopfsteinpflaster, was insgesamt 54,8 Kilometer auf dem Weg von Compiègne zu dem Velodrom von Roubaix ausmacht.
Trotz der relativ flachen und asphaltierten ersten 96 Kilometer, werden alle Teams im Peloton in Vorbereitung auf die ersten Kopfsteinpflaster Sektoren um Positionen an der Spitze kämpfen, damit ihr Leader bestens platziert ist. Beim letztjährigen Rennen kam es in der Anfangsphase in einer sehr nervösen Gruppe zu zahlreichen Stürzen, bevor die Fahrer überhaupt auf das erste Kopfsteinpflaster Abschnitt, von Troisvilles nach Inchy, trafen.
Insgesamt stehen 30 Kopfsteinpflaster Sektoren auf dem Programm, die sich in Länge und Schwierigkeitsgrad unterscheiden. Dies hat zur Entwicklung eines Sterne-Bewertungssystems geführt, bei dem die Abschnitte von einem Stern – dem am wenigsten schwierigen – bis hin zu Fünf-Sterne-Abschnitten bewertet werden. Diese gelten entweder aufgrund ihrer Länge, der Rauheit des Kopfsteinpflasters oder einer Kombination aus beidem als die schwersten. Bei der Hölle des Nordens gibt es nur drei Fünf-Sterne-Sektoren. Als erster davon bekommen es die Fahrer, nach 162 Kilometer, mit der berühmten und gefürchteten Trouée d’Arenberg zu tun. Die 2,3 km langen Gerade durch die Bäume von Wallers-Arenberg sorgt für eine nervenaufreibende Kopfsteinpflaster Passage.
Nach 209 km kommt der zweite Fünf-Sterne-Sektor, der 3 km lange Mons-en-Pévèle, und schließlich, knapp 16 km vor dem Ziel, bietet der 2,1 km lange Carrefour de l’Arbre eine letzte Chance für entscheidende Attacken, bevor es flach auf nach Roubaix geht. Die Königin der Klassiker endet mit einer traditionellen Runde um das Velodrom André Pétrieux in Roubaix, die letzten 750 m des Rennens, bevor der Sieger entschieden wird.
Alle Favoriten zum Sieg
Die Klassiker-Mannschaft von Jumbo-Visma hat den wohl stärksten Start in die Saison hingelegt, mit einem Sieg von Allround-Meister Wout van Aert beim Omloop het Nieuwsblad und bei der E3 Saxo Bank Classic. Doch der belgische Superstar musste die Flandern-Rundfahrt, bei der er sich als großer Favorit profiliert hatte, auslassen, nachdem er sich mit dem Coronavirus infiziert hatte. Damit ist seine Teilnahme an Paris-Roubaix sehr zweifelhaft. Ohne Van Aert stehen mit Christophe Laporte und Tiesj Benoot, 9. und 13. der Flandern-Rundfahrt, weitere Optionen für Jumbo Visma zur Verfügung, um für den Sieg mitzumischen.
Titelverteidiger Sonny Colbrelli wird nicht auf den Kopfsteinpflastern Nordfrankreichs zurück sein. Der Italiener erlitt nach dem Überqueren der Ziellinie der ersten Etappe der Katalonien-Rundfahrt am 21. März einen Herzanfall und ist jetzt mit einem internen Defibrillator versorgt. Daher ist ungewiss, wann der europäische Meister wieder auf ein Rad steigen kann. Nun heißt die beste Hoffnung für Bahrain-Victorious Matej Mohoric, dessen Kraft und Größe dem unwegsamen Gelände entgegenkommen werden.
QuickStep-Alpha Vinyl mag zwar Kuurne-Brussel-Kuurne mit Sprinter Fabio Jakobsen gewonnen zu haben, aber es fehlt ihnen Klassiker-Spezialist Tim Declercq, der aufgrund eines Herzproblems eine längere Rennpause einlegen musste und damit nicht in Topform in Compiègne an den Start geht.
Deshalb setzt dieses Jahr das belgische Team auf Yves Lampaert und Kasper Asgreen, der Flandern-Rundfahrt Sieger 2021, um die Hölle des Nordens zu erobern. Ganz überraschend war Gianni Moscon bei der letzten Ausgabe alleiniger Spitzenreiter des Rennens, bis er einen Reifenschaden 30 km vor dem Ziel erlitten hat. Zwar fährt der Italiener nicht mehr für Ineos Grenadiers, sondern für Astana-Qazaqstan, aber er hat bewiesen, dass er sich auf einem schwierigen Parcours wohlfühlt und es sich lohnt, ihn im Auge zu behalten.
Tom Pidcock wird nicht in der neu gegründeten Klassiker-Mannschaft von Ineos Grenadiers antreten, da er seine Klassiker-Saison vorzeitig beenden möchte, um sich auf den Giro d’Italia vorzubereiten. Teamkollege Dylan van Baarle gehört nach seinem zweiten Platz vor zwei Wochen bei der Flandern-Rundfahrt sicherlich zu den großen Favoriten. Filippo Ganna wird zum ersten Mal bei Paris-Roubaix mitfahren. Wenn er die Kopfsteinpflaster Sektoren meistert, könnte er angesichts seiner immensen Qualitäten als Rouleur eine ernstzunehmende Kraft sein.
Lotto Soudal hat in aller Stille eine Reihe von Klassikern Spezialisten zusammengestellt, die in diesem Jahr sehr wohl um den Sieg mitfahren könnten. Florian Vermeersch überraschte viele, indem er sich mit Mathieu van der Poel und Sonny Colbrelli bis ins Velodrom 2021 begleitete. Der junge Belgier scheint der geborene Kopfsteinpflaster-Fahrer zu sein, und mit Philippe Gilbert, der seine Karriere mit einem letzten Ausrufezeichen beenden möchte, und Victor Campenaerts, der die Saison in hervorragender Form beginnt, hat das Team mehrere Optionen.
Außenseiter-Chancen haben Zdeněk Štybar von QuickStep-Alpha Vinyl, Anthony Turgis und Peter Sagan von TotalEnergies und das AG2R-Citroen-Duo Greg van Avermaet und Oliver Naesen, die einen glänzenden Start in die 2022-Klassiker-Saison hingelegt haben.
Unsere Prognose
Wie 2021 könnten die Bedingungen eine große Rolle für das Rennen spielen. Im vergangenen Jahr gab es die erste Ausgabe von Paris-Roubaix im Regen seit 16 Jahren, und trotz der zusätzlichen Risiken, die die glatten Kopfsteinpflaster mit sich brachten, waren viele Radsportfans von den widrigen Bedingungen begeistert. Ob sich in diesem Jahr die schlammgefüllten Gesichter des Peloton, das sich ins Ziel schleppt, wiederholen, ist fraglich. Im Oktober 2021 schaffte es nur etwas mehr als die Hälfte der 174 Starter bis ins Velodrom von Roubaix.
Da Wout Van Aert, der seit Beginn der Klassiker-Saison dominiert, sehr geschwächt oder gar nicht an den Start gehen sollte, bleibt das Rennen sehr offen. Trotzdem zeichnet sich ein klarer Favorit aus: Mathieu Van der Poel. Vor zwei Wochen gewann der Alpecin-Fenix-Fahrer die Flandern-Rundfahrt zum zweiten Mal in seiner Karriere nach 2020.
In diesem Rennen bewies der Niederlander, dass er der stärkste Mann auf den Kopfsteinpflastern ist und dass man mit ihm für Paris-Roubaix rechnen muss. Bei der Hölle des Nordens reichte es bislang nur für Platz 2 2021 hinter Sonny Colbrelli. Dieses Jahr will es Van der Poel richten und der 13. Fahrer, dem der Doppelpack Flandern-Rundfahrt und Paris-Roubaix im selben Jahr gelingt. Wenn er seine Form beibehalten kann und Stürze und mechanische Probleme vermeiden kann, denken wir, dass der 26-Jährige sich in die Geschichtsbücher des Radsports eintragen kann.
Filippo Ganna ist ein Multitalent und beweist immer wieder, dass er neben seinen vielen Rouleur-Talenten auch gut klettern und sprinten kann. Das lange, flache Profil kommt ihm sehr entgegen – er ist Weltmeister im Zeitfahren (2020 und 2021) – und wenn er mit auf den Kopfsteinpflaster Sektoren gut zurechtkommt, könnte Ganna der zweite Italiener in Folge sein, der den Sieg holt. Deshalb ist der Ineos Grenadiers-Fahrer unser Außenseiter-Tipp für Paris-Roubaix.